Dankeschön.
Eine emotionale Retrospektive der Migration…
„Mein Herz schlägt türkisch,
deutsch ist mein Herz.“
kulturnomâdin
Zwei lange Tage, ein langer Lauf … und ein Neuanfang einer 16jährigen Nomadin.
Die Türkei wird zum Schauplatz eines politischen Kampfes. Eine neue Gesetzesvorlage der Regierung bringt das Volk in Aufruhr. Der Entwurf löst bei den Menschen Wut, Enttäuschung und ein emotionales Feuer aus. Die Umsetzung des Gesetzes würde zum einen das verfassungsrechtliche Gewerkschaftsrecht einschränken und zum anderen die Aufrechterhaltung des Gewerkschaftsverbands DİSK gefährden.
Diese Protestbewegung ist einer der größten Arbeiterbewegungen in der türkischen Geschichte. In dieser politischen Arena schließen sich bedeutende Gewerkschaften solidarisch zusammen. Mit dem Slogan „Anayasa çignenemez! DİSK kapatılamaz“ (Die Verfassung darf nicht missachtet werden! Keine Schließung des DiSK!) gehen die Menschen auf die Straße, um das Gewerkschaftsrecht zu wahren, nutzen und zu schützen. 75.000 Menschen nehmen teil an dem langen Lauf. Manche Quellen sprechen von 150.000. Ort des Geschehens: Istanbul.
Während die Arbeiterunruhen in Istanbul das gesamte Land erschüttern, ist eine junge Frau gerade dabei, sich auf den Weg in ein neues Abenteuer zu begeben.
Es ist 1970. Politisch und wirtschaftlich eine unsichere Zeit für die Türkei. Die Kluft zwischen kapitalistischen Interessen und den sozialistischen Werten bringt beide Positionen in eine erhebliche Machtprobe. Staatsgewalt gegen das Bürgertum. Die zwei langen Tage, 15. und 16. Juni 1970, und der lange Protestlauf der Arbeiter in Istanbuls Straßen, hinterlassen eine wertvolle historische Spur in der Türkei.
Ein bedeutender Wendepunkt, auch für die junge Frau. Denn sie wird zu einer modernen Nomadin.
Bald soll es losgehen. Das erste Mal wird sie in einem Flugzeug sitzen. Bevor sie sich auf die Reise begibt, muss sie zur ärztlichen Untersuchung ca. 740 km von ihrem Heimatdorf entfernt. Sie muss nach Istanbul.
Nach wenigen Tagen steht es fest. Es geht nach Deutschland! Ziel ist München.
In Deutschland kommt sie nun an.
Wer ist sie? Eine Gastarbeiterin, Ausländerin, ausländische Arbeiterin oder Arbeitsmigrantin? So viele Definitionen in kurzer Zeit.
Von ihrer Tante, die bereits in Deutschland lebt und arbeitet, lernt sie einige Sätze auf Deutsch. Sie hält einen kleinen Zettel in der Hand. Darauf steht die Adresse, wo sie hinmuss. Jetzt ist sie unterwegs auf Schienen. Im Zug kann sie den Schaffner mit ihren erworbenen Deutschkenntnissen fragen „Wo muss ich aussteigen?“, „Wo ist die Station?“ Hamburg! Da soll es hingehen. Die Nomadin ist umgeben von weinenden Müttern und Vätern. Sie reisen allein. Die Familie muss in der Heimat warten. Deutschland ruft. Neue Chancen. Ein wenig arbeiten, Geld sparen und ab nach Hause, in die Heimat. Eine Vision. Eine Hoffnung, die alle teilen.
Mit ihren jungen 16 Jahren versucht sie die Reisenden zu trösten. „Bitte nicht weinen. Lasst uns erst den Ort finden, wo wir hinmüssen. Da könnt ihr doch in Ruhe und so viel ihr wollt euren Gefühlen freien Lauf lassen.“ Sie verlässt alles was ihr bekannt ist … Dies ist nur eine Geschichte von vielen.
Heute, nach fast 48 Jahren ist diese Nomadin Mutter und Großmutter. Ob und wieviel sie von den Arbeiterunruhen in Istanbul mitbekommen hat, ist heute ungewiss. Denn viele Jahre sind seither vergangen. Erinnerungen sind verblasst.
Sie hat viele Geschichten. Traurige, glückliche, melancholische, erfreuliche, wütende, nachdenkliche. Auf der Strecke bleiben Träume und die Hoffnung.
Wir drehen uns im Kreis, drehen und drehen und drehen uns. Politisch, soziologisch, psychologisch und gesellschaftlich. Egal wie, es war und ist immer wieder eine Herausforderung, die eine Frage zu klären: Was ist Integration? Was bedeutet Integration? Wie gelingt Integration? Nun sind es doch mehrere Fragen… Natürlich wird uns allen dabei schwindelig … so erging es zeitweise auch mir.
Viele Jahre habe ich damit verbracht, mich mit Themen wie Identität, Zugehörigkeit und Kultur zu beschäftigen. Das kostete mich endlose Gedankenschleifen, nahe der Sinn- und Persönlichkeitskrise. Reisen durch emotionale Achterbahnfahrten und Höhenflüge. Philosophische Unstimmigkeiten, ein intrapersonelles Desaster! Wieso habe ich mich angestrengt? Jetzt mal Schluss mit der Integration!
Fangen wir an zu denken und zu handeln.
Fangen wir an zu fühlen und zu verstehen.
Lasst uns leben!
Mir liegt es am Herzen, an dieser Stelle innezuhalten und mich zu besinnen.
DANKESCHÖN!
… an die Eltern- und Großelterngeneration.
Ob Deutsch, Türkisch, Griechisch, Italienisch, Marokkanisch, Portugiesisch …
Sie sind es, die uns einen Weg geebnet haben.
Sie sind es, auf deren Schultern
viele Sorgen, Kummer und Ängste lasten.
Über 40 Jahre gab es nur einen Fokus für sie.
Ihre Kinder!
Ein besseres Leben ist die Vision.
Nun ist 2018! Haben diese Geschichten ein Ende? Nein, ich denke nicht.
Ich möchte Menschen zusammenbringen. Ich sehe Menschen als Unikate. Diese persönlichen Feinheiten, diese schimmernden Nuancen sind es doch, die jeden Einzelnen ausmachen.
Ich wünsche mir einen Toleranzradius bis ins Unendliche des Universums.
Ich möchte, dass wir uns die Hand geben, uns in die Augen schauen, uns gegenseitig zuhören. Nehmen wir uns die Zeit.
Das klingt alles nach Utopia? Ich finde nicht. Denn ich lebe so. Ich fühle so.
Ich handle so.
Dafür danke ich meiner Familie und allen Menschen, die im zarten Alter ihre Heimat verlassen haben. Danke an die erste und zweite Generation.
Das ist mein Identitätsmosaik.
Hier bin ich.
deine
kulturnomâdin
Dankeschön!
In diesem Sinne „Es kamen Menschen an …“
Ich mache mich auf die Reise nach der „Story behind“.
Was ist deine Geschichte?
Wem möchtest Du danken?
Wer sind deine Nomaden?
Ich freue mich über Geschichten, Austausch und besonders Fotos.